Eine Expedition zu den abgelegenen Turmkarst-Gebieten in Zentralborneo.

Bei der folgenden wissenschaftlichen Expedition muss ich ein bisschen vorweg greifen, denn den Kontakt zum Besitzer dieser Hütte erhielt ich nur, weil ich vor zwei Jahren eine Expedition in ein ganz anderes Gebiet plante und dort auf der Suche war nach Einheimischen, die mir Vorort weiterhelfen konnten. Dabei hörte ich von einem kleinen Kalksteingebiet, von dem ich hier berichten will. Ich bekam via WhatsApp erste Handyfotos zugeschickt und für mich war klar: in diese, mir unbekannte Gegend wollte ich unbedingt vorstoßen!

Der Reiz einer jeden Expedition ist ja immer das Unbekannte … und im Februar 2020 war es nun endlich soweit: Ein Besuch der wenig erforschten Kalkstein-Karste (Limestone-Outcrop) im „Herzen von Borneo“ stand kurz bevor. In Borneo gibt es mehrere dieser Kalkstein-Karst-Gebiete. Die bekanntesten darunter befinden wohl in Mulu (Miri-Distrikt / Sarawak) und Bau (Kuching-Distrikt / Sarawak). Es gibt aber auch tief im Landesinneren einige wenige, die sich dadurch auszeichnen, dass sie wenig erforscht und meist noch von intaktem Wald umgeben sind.

Ich wusste nicht viel über den Ort zu dem wir aufbrechen würde. Ich wusste nur, dass ich von Miri ausgehend irgendeine Holzfällerstraße befahren musste. Alleine die Autofahrt von Kuching nach Miri ist ein Abenteuer, denn derzeit wird dort der Pan-Borneo-Highway gebaut, ein Multi-Milliarden Straßenbauprojekt durch komplett Sarawak bis an das Ostende von Sabah. Von den Einheimischen wird diese Straße sehr oft spöttisch „Pain-Borneo-Highway“ genannt, denn es ist wirklich kein Spaß, 15 oder mehr Stunden in einer einzigen Baustelle zu fahren.

Nun denn… heil angekommen in Miri und im Pullman Hotel eingecheckt, fragte ich meinen Kontaktmann um eine genaue Bezeichnung, wo ich denn hinzufahren hätte. Nur auf hartnäckiges Nachfragen konnte ich mir sowas wie eine „Beschreibung“ verschaffen, sodass mir zuerst zum Lachen zumute war. Dann allerdings wunderte ich mich „Werde ich den Ort jemals finden?“. Anhand einer gezeichneten und über WhatsApp verschickten Skizze, wie man sie in einem Restaurant auf eine Serviette kritzeln würde, begann ich das Abenteuer. Immerhin hatte ich eine Richtungsangabe, das war schon einmal viel wert. Auf der Wegbeschreibung stand, dass ich ca. sechs bis sieben Stunden Holzfällerstraßen vor mir hatte. Es gibt wenig zu befürchten auf solchen Straßen: Ab und an eine kaputte Brücke, durch Erdrutsche schwierig passierbare Bereiche, viel zu schnelle LKWs, die mit Holz beladen sind und immer Vorfahrt haben, Schlaglöcher, Wildwechsel und eine Verkehrsführung, die von den Holzfällerfirmen in einer Art Zufallssystem ausgependelt wird. Eine der Tücken auf solch einer Straße ist z.B., dass man ständig die Straßenseite wechseln muss und dass dies nur sehr kleine Schilder (wenn vorhanden) am Rand der Piste anzeigen. Das Wechseln von Links- auf Rechts- und wieder Linksverkehr kann innerhalb weniger hundert Meter erfolgen. Folgt man diesem System nicht, ist ein Unfall mit einem LKW fast unvermeidlich. Ein weiterer Punkt, den man beachten muss, ist die Versorgung mit Treibstoff. Kanister randvoll mit Diesel auf der Ladefläche sind bei solchen Touren ein absolutes Muss. Neben der Zeichnung hatte ich auch noch eine Information erhalten, dass etwa nach 350km noch eine Möglichkeit zum Tanken käme.

Mit diesen Informationen, meinem Kartenmaterial, dem GPS und einer Portion Zuversicht machte ich mich zusammen mit einem Team aus Schweizer Wissenschaftlern und Studenten morgens um 5 Uhr auf den Weg. Die Fahrt war anstrengend, wie immer auf solchen Straßen. Mein Beifahrer hatte eine Sonnenbrille aufgesetzt und schien noch müde zu sein, denn sein Kopf wippte bei jeder Bodenwelle hin und her. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte mir drei junge schlafende Wissenschaftler auf der Rückbank, deren Köpfe bei jedem größeren Schlagloch gegeneinander oder ans Fenster prallten. Man kann sich angenehmeres Reisen vorstellen. Nun lag es an mir, mich wach zu halten. Diese Straßen sind nicht nur gefährlich, sie sind auch furchtbar deprimierend zu fahren. Die Landschaft wechselt alle paar Kilometer zwischen spärlichen Regenwaldresten und endlosen Palmölplantagen. Als die Tankanzeige schließlich gerade unter 1/2 gefallen war, erreichten wir nach wenigen Kilometer die letzte Tankmöglichkeit. Endlich!

Die erste Pause nach sechs Stunden Off-Road. Ich bog nach links in die Einfahrt zu einem Dorf ein. Wir passierten dutzende kleine Häuser, eine Schule und zwei kleinere Geschäfte, die noch ganz typisch alles anbieten, was man so braucht: Vom Spaten bis zu Fertignudeln, Süßigkeiten, Spielwaren und Schmerzmittel. Kein Anzeichen einer Tankstelle, nirgends. Natürlich wird auch Treibstoff nicht immer an einer Zapfsäule verkauft. Oft sind solche Tankstellen einfach nur eine Ansammlung von Metallfässern, aus denen man dann mittels eines kleinen Schlauchs den Treibstoff in den Tank leitet. Ich hielt an und stieg aus, um nach mehreren Gesprächen mit den Dorfbewohnern zu erfahren, dass die Regierung schon lange kein Benzin mehr in das Dorf liefert. Verdammt, was tun? Weiterfahren und auf einen findigen Geschäftsmann am Rand der Straße hoffen, der sein Einkommen vielleicht mit Treibstoffverkauf aufbessert? Oder umkehren? Wir entschieden uns gemeinsam für die Weiterfahrt. Im Notfall könnte ich immer noch einen LKW bitten, uns etwas Diesel abzugeben. Nach weiteren 50 Kilometern erschienen wie aus dem Nichts zwei Hütten am rechten Straßenrand. Kleine Wohnhäuser, die auch die Möglichkeit anboten, Nahrungsmittel zu kaufen. Auf einem kleinen Schuppen neben den Häusern prangte die Aufschrift „Diesel“ – TOLL! Schnell die Preise erfragt, den Tank füllen lassen, etwas gegessen und es ging weiter.

Nach weiteren drei Stunden und mehreren Stopps, um nach dem Weg zu fragen, kamen wir endlich an die lang erwartete Kreuzung. Hier sollte ich mich links halten, den Berg hinauffahren und dort warten. Oben stand auch schon ein freundlicher Penan. Breit grinsend mit einer Schrotflinte in der Hand, der mir zurief „Kitak Lars?“ (Übersetzt: „Bist Du Lars?“) – anscheinend hatten wir es geschafft. Jetzt hieß es, Auto abstellen und noch ca. 1.5 Stunden Fußmarsch bis zu einer Hütte am Fuß eines dieser imposanten Karstformationen durchhalten. Es war nicht weit, aber es fühlte sich für mich wie eine Ewigkeit an, da ich müde war und mich nach einer richtigen Pause sehnte. Der Weg war vorgegeben, aber sehr rutschig. Die Bewohner der Hütte laufen diesen Weg öfters, die Parangs (Buschmesser) konnten wir also stecken lassen. Nach einigen rutschigen „Brücken“ – hier lag jeweils nur ein Baum über einem Bach – erreichten wir die Hütte. Ich war überrascht: Selten habe ich eine so saubere Hütte mitten im Wald gesehen. Auch die Bauart war beeindruckend, denn alles war aus sehr schwerem Hartholz (Bahasa Sarawak: kayu selangan batu / Shorea ssp.) gebaut. Dieses Holz hält sich selbst im feuchten Regenwald mehrere Generationen lang. Es gibt Aufzeichnungen, dass Bauten aus diesem Holz teilweise bis zu 150 Jahre unter diesen feuchtwarmen Bedingungen überdauern können. Das noch härtere Belian-Holz (Eusideroxylon zwageri Teijsm. & Binn.) hält hier allerdings mit bis zu 300 Jahren den Rekord.

Die Bewohner des Hauses haben eine lukrative Einnahmequelle, nur ca. 50m von der Hütte entfernt befindet sich der Eingang zu einer unterirdischen Kalksteinhöhle, in der hunderttausende Salanganen (Collocaliini) beheimatet sind. Die meisten Seglerarten (Apodidae) benutzen Speichel zum Bau ihres Nests. Dieses Verhalten ist bei den Salanganen am deutlichsten ausgeprägt. Eine ungewöhnliche Fähigkeit dieser Vögel ist die Echoortung (ähnlich der Fledermäuse), diese ermöglicht es ohne Kollisionen in den dunklen Höhlen zu fliegen. Bei den Nestern der Salanganen handelt es sich um eine teure chinesische Delikatesse. Aus ihnen wird die Schwalbennestersuppe (chinesisch 燕窩 / 燕窝) zubereitet. Die Beliebtheit und hohen Marktpreise dieser Vogelnester macht Maßnahmen zum Schutz der Selanganen erforderlich. Die Gruppe von Penan haben sich nicht ohne Grund vor dem Höhleneingang niedergelassen. Sie bewachen den Eingang Tag und Nacht, denn es ist schon öfter vorgekommen, dass rücksichtslose Schwalbennestsammler die Tiere bei der Brut gestört haben.

Die Penan ernten die Nester zwei bis dreimal im Jahr. Dies kann allerdings nicht irgendwann geschehen; der genaue Zeitpunkt ist wichtig. Damit die Tiere nicht in der Brut gestört werden, müssen die Nester entweder vor der Eiablage geerntet werden oder nachdem die Küken flügge geworden sind, denn nur dann bauen die Vögel ein neues Nest in derselben Höhle. Es gibt mehrere Arten von Qualitäten der Nester, auch gibt es Nester aus sogenannten „Schwalbenhäusern“, einer Art künstliche Höhle in Wohngebieten, dessen Qualität bei weitem nicht so gut ist wie aus natürlichen, ungestörten Habitaten. Im Gespräch mit den Penan fiel mir ein weiterer Vorteil dieser natürlichen Art der Schwalbennestsammlung auf, denn die Penan wissen um Ihren Wald und wie wichtig er für die Schwalben ist. Aus diesem Grund schützen sie den Wald, so gut es geht in ihrem Einzugsbereich vor Holzeinschlag und bewahren somit den Regenwald in seiner ursprünglichen Form.

Die Vögel ernähren sich hauptsächlich von Insekten, die im Flug erbeutet werden. Je höher die Dichte und Vielfalt der Insekten ist, desto höher ist auch die Ausbeute und Qualität bei den zu erntenden Nestern. Der Primärwald in den angrenzenden Bergen hielt auch für uns Amphibienforscher eine große Biodiversität bereit und wir konnten viele seltene Arten nachweisen.

Jedoch sahen wir in all den Tagen seltsamerweise nicht ein einziges Säugetier in der unmittelbaren Umgebung der Hütte. Ein Blick in die Küche der Penan zeigte auch warum. Der tägliche Eiweißbedarf wird traditionell durch Fleisch gedeckt. Für uns verwöhnte Europäer, die es gerne vergessen, dass für Fleisch ein Tier getötet werden muss, ist der Anblick gewöhnungsbedürftig, ja fast schon grausam. Die Penan jagen nur im Umkreis der Hütte und die Populationen sind nie ernsthaft in Gefahr. Die größte Gefahr für die Tiere ist der Habitatverlust durch Holzeinschlag und nicht die selektive Bejagung.  Auf den Tisch kommt alles, was der Wald zu bieten hat: Wildschwein (Sus barbatus), Python (Malayopython reticulatus), Hirschferkel (Tragulus kanchil), Sambar Hirsch (Cervus unicolor), Muntjak (Muntiacus atherodes), Borneo-Stachelschweim (Hystrix crassispinis), südlicher Schweinsaffe (Macaca nemestrina), Langschwanzmakak (Macaca fascicularis), Gibbons (Hylobates ssp.), Languren (Presbytis ssp.) und andere verschiedene Kleinsäuger wie z.B. Baumhörnchen (Sciurini).

Die erbeuteten Tiere werden meist kurz nach der Jagd zubereitet. Fleisch, das nicht sofort verzehrt wird, durchläuft einen mehrtägigen Räucherprozess, um es haltbar zu machen. Manchmal werden für das Räuchern kleine Kisten gebaut, die über dem Feuer in der Küche platziert werden. Hineingeschaut bietet sich kein sehr schöner Anblick – aber immerhin zeigt der Inhalt die Biodiversität des umgebenden Habitats, wenngleich wir solche Tiere lieber lebend im Wald sehen. Unmittelbar neben der Hütte haben die Bewohner eine Vielzahl an Früchten und Gemüse angebaut. So finden sich unter anderem Ananas, Papaya, Zitronen, Bananen, Rambutan, Mango, Tapioka, Spinatstrauch, Paku (ein essbarer Farn) und Chilli in hervorragender Qualität und mit intensivem Geschmack.

Der Ausblick vom Gelände ist wirklich atemberauben. Man blickt in ein Tal mit Primärwald hinauf zu einem 1800m hohen Berg, fünf verschiedene Arten von Nashornvögel (Bucerotidae) hüpfen in den Bäumen von Ast zu Ast und verteidigen ihr Revier gegen Artgenossen. Jeden Morgen hört man im aus dem Wald aufsteigenden Nebel in großer Ferne Gibbons rufen – dieser unvergleichbare Ruf aus einer stetig schneller werdenden Abfolge aus „whoos“ (hier in Titel Nr. 3 zu hören), ist der wohl klangvollste Wecker, den man sich vorstellen kann. Während ich mit meiner frisch gebrühten Tasse Kaffee um 5 Uhr morgens den vor mir im Tal liegenden Wald beobachte, erhebt sich hinter mir ein über 700m hoher Kalksteinberg (Turmkarst).

Der Turmkarst ist eine Typform des randtropisch-subtropischen und tropischen Karstes und ist ein besonders extremer Lebensraum mit vielen nur dort vorkommenden Pflanzen. In einer Nacht versuchten wir einen Weg auf den Gipfel von einem der Berge zu finden. Nach ca. 200 Höhenmeter wurde dieses Unterfangen ohne eine professionelle Kletterausrüstung unmöglich und wir stiegen wieder hinab, nicht jedoch ohne die Fauna und Flora dieses Berges zu dokumentieren. Nach knapp einer Woche mit den Penans und ihrem vorzüglichen Nahrungsangebot mussten wir Abschied nehmen, denn es warteten noch andere unbekannte Gebiete auf uns.


Und so sehen die geernteten und gesäuberten Salanganen Nester aus.

Kurz nach dem ernten werden diese gesäubert und die, durch die Vögel, eingearbeiteten Federn werden abgeschnitten. Beim Großhändler werden die Nester ein weiteres Mal gereinigt.