Wilden Orang Utans auf der Spur.

Es war im Dezember 2019, als ich die Chance erhalten sollte, ein Regenwaldreservat zu besuchen. Dieses etwa 256km² große Gebiet an der Grenze zu Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos, ist zu 98% von Primärwald bedeckt. Noch in den 1920er Jahren lebte dort eine kleine Kommune der Iban, die aber schon um 1930 weiter Flussabwärts zogen, um näher an dem nächsten Dorf zu wohnen.

Von Kuching aus gestartet lag eine siebenstündige – eigentlich recht angenehme – Autofahrt vor mir, an deren Ende ich bei einem Freund im Langhaus übernachten konnte.
Solch ein Langhaus ist ein typisches Bauwerk der Iban, einer der größten indigenen Bevölkerungsschicht in Sarawak. Ein Langhaus, besteht aus vielen, über einen gemeinsamen „Flur“ verbundenen Einzelwohnungen, den die Iban Ruai nennen. Früher war er der zentrale, soziale Ort, wo man zusammen die Zeit verbrachte; in die eigentliche „Wohnung“ ging man nur zum Schlafen. Heute ist dies anders: der Ruai stellt sich einem als endloser langer und leerer Raum dar, denn die Bewohner sitzen meist in ihren Wohnungen und schauen Fernsehen – die Moderne ist auch hier angekommen. Der Länge eines solchen Hauses wird übrigens nicht in Metern gemessen, sondern kurioserweise in der Anzahl an Türen.

Der Aufbruch am nächsten Tag war für 5 Uhr in aller Frühe geplant … der Grund hierfür sollte sich mir erst später erschließen. Entsprechend eine Stunde vorher klingelte der Wecker. Selbst für mich, der einen unregelmäßigen Schlafrhythmus gewöhnt ist, war dieser spezielle Morgen eine Herausforderung. Wir hatten ein kurzes Frühstück, bestehend aus Bananen, Durian, gebratenen Reis und einem Kaffee, der so süß wie Honig war, weswegen ich ihn dieses Mal verschmähte. Dafür interessierten sich schon nach kurzer Zeit kleine Ameisen dafür. Ich rollte derweil bereits meine Isomatte zusammen und wir verließen schließlich leise das Haus.

Die dreißigminütige Autofahrt brachte uns zu einem Fluss, wo wir in ein typisches Langboot umstiegen. Ich hatte schon gesagt bekommen, dass die Fahrt lange dauern würden und sehr beschwerlich sei, doch wenn man sich in guter Gesellschaft befindet, geht diese Zeit schnell vorüber. Der Fluss führte zu dieser Zeit zwar relativ viel Wasser, aber wir mussten dennoch unzählige Male aus dem Boot aussteigen und es über Stromschnelle ziehen, wenn das Wasser zu flach wurde. In der Trockenzeit kann es sogar vorkommen, dass man das Boot schultern muss, um es in tiefere Bereiche des Flusses oder an steinigen Stromschnellen vorbei zu tragen. Rechts und links vom Strom konnten wir schon jetzt einen nahezu unberührten Regenwald sehen. Das Wasser selbst war glasklar und unzählige Fische tummelten sich ganz in unserer Nähe. Tropische Eisvögel (Kingfisher) fühlten sich durch uns wohl in ihrer Nahrungssuche gestört und flogen mit lautem Gezeter davon. Bei einer kurzen Pause sprach mich einer der Bootsmänner an. Hier zuerst im Original, damit ein kleiner Eindruck von ihrer Sprache gewonnen werden kann: „Di sitok lah sempadan tanah kamek. Tanah tok lah tanah asal nenek moyang kamek.“ Übersetzt: „Hier ist die Grenze zu unserem Land. Dies ist das Land wo unsere Vorfahren lebten.“ Wir waren nun schon ganze sieben Stunden auf dem Fluss unterwegs, meine Kleidung war gänzlich durchnässt, meine Hände und Füße faltig aufgequollen. In der tropischen Hitze ist dies aber eher einem erfrischenden Besuch im Freibad gleichzusetzen.
So folgten wir dem mäandernden Fluss weiter stromaufwärts. Irgendwann vernahm ich neben dem ständigen Dröhnen des Außenbordmotors ein „Da vorne ist es, noch eine Flussbiegung“, und tatsächlich konnte man einen Teil der kleinen Hütte schon sehen. Ich freute mich schon darauf, meine nasse Kleidung gegen trockene einzutauschen. Mit dem ganz typischen Geräusch „kchrrrrrrrr“ setzte das hölzerne Langboot plötzlich noch einmal auf. Das Wasser war hier wieder sehr flach geworden, sodass es ein letztes Mal unsere Aufgabe war, das Boot durch die Flachwasserstelle über die Steine in eine tiefere Stelle des Flusses zu ziehen. Es ist wirklich eine Kunst in diesen flachen, meist nur knietiefen Gewässern überhaupt mit einem Boot zu fahren. Die Bootsmänner wissen die Strömungen sowie die kleinen Schaumkronen im Wasser zu deuten und versuchen so möglichst effizient als auch zügig flussaufwärts zu kommen.

Endlich angekommen! Verglichen mit den Anstrengungen der letzten neun Stunden auf dem Wasser war es nun nicht mehr allzu schwierig oder zeitintensiv, unser Gepäck aus den Booten zu räumen. Aber wo war ich eigentlich? Mitten im Nirgendwo an einem Zusammenfluss von zwei kleineren Flüssen. Hier stand ein Haus, auf Stelzen thronend und komplett aus dem Holz des gelbem Merantibaum (Shorea faguetiana) gefertigt, der zu allen Jahreszeiten grüne Blätter trägt und eine durchschnittliche Höhe von 50–60 Metern erreicht. Jedoch gibt es Ausnahmen: Im Jahr 2018 wurde ein gelber Merantibaum mit 100,8 Metern Höhe und einer geschätzten Masse von 81 Tonnen vermessen. Sehr beeindruckend und Weltrekord was die Höhe eines Baumes betrifft!

Nachdem wir unser Hab und Gut im Haus verstaut hatten, trugen wir die Boote ein bisschen das Ufer hinauf, um sie abzusichern. Dies hat den einfachen Grund, dass Niederschläge durch die steilen Berghänge unmittelbar ins Flussbett fließen und der Wasserstand jederzeit und rasend schnell um mehr als sieben Meter ansteigen kann. Dass der Fluss damit zu einer ernstzunehmenden Gefahr wird, muss ich wohl kaum erwähnen. Kaum auszudenken, wie wir wieder nach Hause kämen, wenn eine Sturzflut die Boote zerstören würde. Nach einem kräftigenden Abendmahl war der Tag für mich beendet und ich bereitete meine Schlafstätte vor.

Der nächste Morgen begann mit Regen und es sollte die nächsten Stunden nicht aufhören. Einer der Flüsse färbte sich bereits rötlich bis gelblich, ein Anzeichen dafür, dass stromaufwärts ein Erdrutsch Sediment ins Wasser eingetragen hatte. Trotz des ungünstigen Wetters erkundete ich die Gegend, denn ich wollte mir ein Urteil über den Zustand des Waldes machen. Kurz nach dem Aufbruch entdeckte ich mehrere Palmenarten, die man nur in ungestörten Wäldern findet, ebenso diverse Spuren von Säugetieren. Von besonderem Interesse waren die Blutegel, die binnen kurzer Zeit überall am Bein hingen. Viele Menschen sind davon vielleicht abgeschreckt, mich beruhigten diese Plagegeister allerdings, denn sind sie ein sicheres Anzeichen für eine intakte Säugetierpopulation und ich wollte ja auch unbedingt die Orang Utans mal wieder in freier Wildbahn sehen.

Viele Touristen haben genaue Vorstellungen von Borneo als einer Insel mit Regenwald, wo man mal eben einen halben Tag in den Wald vordringt, um Orang Utans zu sehen. Dass dem nicht so ist, wird jeder wissen, der schon einmal in Borneo war. Gigantische Teile des Waldes sind bereits Ölpalmplantagen (Elaeis guineensis) oder Kautschukbäumen (Hevea brasiliensis) gewichen und es gibt nur noch Restwälder, die nie ein Tourist zu sehen bekommt. Umso schöner sind die verbliebenen Reservate. Um wilde Orang Utans zu sehen sollte man mindestens vier bis sechs Tage einplanen, die man komplett im Wald verbringt. Natürlich kann man Glück haben und findet schon am ersten Tag eine Gruppe oder ein Einzeltier, aber in den meisten Fällen muss man im Wald übernachten und läuft tagsüber mehrere Kilometer weit, um nach Schlafnestern Ausschau zu halten. Bei meiner Rückkehr aus dem Wald hatten die Männer schon Fisch gefangen – ich hatte leider vergessen zu erwähnen. dass ich keinen Fisch esse. Nun ja, der Fisch war gefangen, bereits ausgenommen und frittiert, also sollte ich ihn auch essen, damit das Tier nicht umsonst gestorben ist. Als Gourmet würde man sich über die in diesem Flusssystem vorkommen Fischarten garantiert freuen. Der oft gefangene Empurau, Tor tambroides (Bleeker, 1854), gilt als absolute Delikatesse und wird in Städten wie Singapur oder Hongkong mit Preisen von weit über 500USD pro Kilogramm gehandelt. In der Nacht hielt ich nach Amphibien Ausschau und konnte einige aufspüren, wahrscheinlich sogar neue Arten – eine weitere Expedition in das Gebiet im Januar sollte Klarheit darüber geben.

Am nächsten Morgen hörte ich unweit der Hütte ein paar Gibbons rufen, ebenso erschallte nur wenige hundert Meter entfernt der Ruf des Argusfasans, Argusianus argus (Linnaeus, 17766) aus dem Wald. Es waren Männchen, das konnte ich bereits hören. Sie stießen einen lauten Ruf von einem speziell präparierten Platz aus, den ich später noch entdecken sollte. Nach dem Frühstück, das aus Reis und Fisch vom Vortag (!) bestand, erkundete ich mit den Ibans die weitere Umgebung. Wir wanderten zwei Bergkämme entlang und trafen mehrfach auf die Tanzplätze der Argusfasan-Männchen. Sie sind leicht zu erkennen, da sie im Wald einen großen Bereich von kleinen Pflanzen, Blättern und Stöckchen säubern, um auf dieser vorbereiteten „Bühne“ nach den Weibchen zu rufen und ihr Federkleid in einer tanzenden Darbietung zu präsentieren. Diese „Tanzplätze“ (englisch: dancing ground) heißen in der Sprache der Iban, Ruai – also ebenso wie der große „Flur“ in einem traditionellen Langhaus der Ibans, denn zu verschiedenen Festen wird auf diesen genauso getanzt. In vielen der Tänze werden dabei sogar der Argusfasan oder auch der Nashornvogel nachgeahmt. Ein tolles Schauspiel und gar nicht so leicht zu erlernen. Um das Ganze noch verwirrender zu machen: Der Argusfasan wird auch Ruai genannt – ein Wort: drei Bedeutungen. Die indigenen Völker in Borneo benennen Tiere oft nach den Lauten, die sie ausstoßen. Somit wird schnell klar – der Ruf des Argusfasans ist ein langgezogenes „rhuuuu – whaiiiii“. Auf dem weiteren Weg passierten wir zahlreiche dieser Tanzplätze, in einer Vielzahl, wie ich sie bisher selten gesehen habe – wieder ein Anzeichen für die qualität von diesem Wald.

Wir sahen Bäume, die vom Malayenbären, Helarctos malayanus (Raffles, 1821) (Iban: Jugam), mit den langen und scharfen Krallen aufgebrochen worden waren, denn sie bevorzugen die Termiten und Bienennester in den Bäumen als Mahlzeit. Wir durchquerten einige Flüsse, um auf andere Bergkämme hinauf zu kommen, sodass ich mir einen genauen Überblick über die Region machen konnte. Nach ca. neun Stunden Marsch kamen wir wieder in der Hütte an und uns erwartete ein köstliches Abendessen aus – wer hätte es anders erwartet – natürlich Fisch! Und ich dachte, ich hätte am Vortag schon gesagt, dass ich keinen Fisch mag.

In der Nacht ging ich nicht weiter von der Hütte weg in den Wald, um nach Schlangen, Fröschen und Echsen zu suchen, denn ich wollte meine Kräfte für den nächsten Tag einsparen, also beschäftigte ich mich damit Motten zu fotografieren – was für tolle Farben diese doch haben! Angelockt von einer kleinen Energiesparlampe und betrieben von einem laut vor sich hin knatternden Generator war dieses kleine Licht das hellste Objekt weit und breit. Eine Vielzahl von Käfern, Motten und einigen Wespen Provespa nocturna (Vecht, 1935) (Iban: Kra-wai) – diese nachtaktiven Plagegeister sind das, was ich mit am meisten fürchte im Wald. Der Stich ist für mehrere Tage sehr schmerzhaft und die Stichstellen heilen durch ihr nekrotisches Gift oft nur mit Narbenbildung aus. In meiner gesamten Zeit in Borneo haben mich sieben solcher Biester erwischt und wenn man einen Einheimischen fragt, so kann sich jeder an die an die unliebsame Begegnung mit diesen sehr genau erinnern. Gegen 23 Uhr ging ich ins Bett, der Stromgenerator verstummte und man konnte endlich den Fluss rauschen hören. Die Zikaden stimmen ein zum Konzert und der Sunda-Fischuhu, Ketupa ketupu (Horsfield, 1821), (Iban: Burung antu bzw. Burung pok) rief mit einem markerschütternden Schrei durch die Nacht.

Der Morgen begann dieses Mal relativ spät. Erst gegen 9 Uhr waren wir mit dem Frühstück fertig und machten uns auf dem Weg in den Wald, mit nur kleinem und leichten Gepäck, um schneller und flexibler zu sein. Unser Ziel: Nach Spuren der Orang Utans Ausschau halten. Schon auf den ersten Kilometern konnten wir zahllose Schlafnester in den Bäumen ausfindig machen – Orang Utans bauen jeden Tag ein neues Schlafnest aus Blättern und Ästen. Spielend zerbrechen sie hierbei armdicke Äste. Ein paar hundert Meter weiter stand eine Palme, die eigentlich mit ihren langen und starken Stacheln an den Stielen und Blättern Fressfeinde abwehren kann. Gegen die Menschenaffen ist dieser Verteidigungsmechanismus aber nicht so wirkungsvoll wie gewünscht: Diese reißen die Palme mit roher Gewalt in zwei Teile und ziehen mit einem kräftigen Ruck das Palmherz aus der Mitte heraus, das als ein köstlicher Snack dient. Wir bestiegen einen Berg, vorbei an Lianen, verschiedenen Baumriesen und Begonia-Arten, die mir völlig unbekannt waren. Ich erspähte einen Blätterhaufen, ganz ähnlich eines kleinen Komposthaufens, der in Wahrheit aber ein Nachtlager von einem Wildschwein, Sus barbatus (Müller, 1838), war. Die Wildschweine beißen die niedrige Vegetation ab und schichten sie zu einem etwa kniehohen Haufen auf. Sobald die Nacht hereinbricht kriechen sie in diesen Haufen, schützen sich somit vor Regen und sind auch noch hervorragend getarnt. Die Ibans nennen diese Blätterhaufen „Sarang Babi“babi oder babui heißt „Schwein“ und Sarang steht in dem Zusammenhang für „Nest“; also Schweinenest.

Eine typische Zikadenart kündigte an, dass es schon spät war – ich nenne sie gerne die „Fünf-Uhr-Zikade“, denn wenn das Wetter es zulässt starten diese Tiere immer gegen 17Uhr abends mit ihren Zirplauten. Diese Laute erinnern mich jedoch viel eher an eine kaputte Kettensäge, mit der man versucht Metall zu durchtrennen, und nicht an ein kleines, etwa 6 cm großes Insekt, das aus den Baumkronen ruft. Es war also an der Zeit ein Nachtlager errichten. Da wir nur mit dem Nötigsten durch den Wald zogen, musste ein Regenschutz aus Palmenblättern Licuala petiolulata gebaut werden, wir kochten uns auf offenem Feuer ein paar Nudelsnacks und legten uns auf den zuvor von Blättern befreiten Boden zum Schlafen … und das ohne den ganzen westlichen Luxus wie z.B. ultraleichte Hängematten oder Zelte. Schlangen oder Spinnen, die des Nachts gerne mal ein Camp aufsuchen, sind dabei weniger das Problem. Ich fürchtete vor allem die Feuerameisen Leptogenys ssp. Diese Ameisen sind in keiner Weise mit den Feuerameisen Solenopsis ssp. aus Südamerika verwandt und eigentlich sollte man sie viel eher „Soldatenameisen“ nennen, denn diese Ameisen in Borneo leben nomadisch und töten auf ihren Streifzügen durch den nächtlichen Wald alles, was nicht schnell genug fliehen kann. Der Stich ist unangenehm: Für ca. eine halbe Stunde schmerzt dieser in mäßiger Intensität. Aber (!) eine Ameise kommt selten alleine und man kommt daher selten nur mit einem Stich davon – meist strömen hunderttausende Tiere über den Waldboden und hundert Stiche sind keine Ausnahme, bevor man sich in Sicherheit bringen kann. Die Iban nennen diese Ameisen einfach nur semada, was ausgesprochen eher wie „s’madah“ klingt, da das „e“ verschluckt wird. Wir saßen am Feuer, ein kleiner hölzerner Becher mit einem mehr als 50 prozentigen Reisschnaps Langkau machte die Runde. Es wurde gelacht und viel geredet. Wie lang sollte der Abend noch gehen? Wenn man nicht bis zur Besinnungslosigkeit weiter trinken will, muss man einfach vorgeben, müde zu sein und sich zurückziehen. Die Nacht war mit den bellenden Rufen der Muntjaks, Muntiacus muntjak (Zimmermann, 1780), erfüllt. Dieser Ruf wird nur bei Gefahr ausgestoßen: Vielleicht haben diese gerade einen Nepelparder, Neofelis nebulosa diardi (Griffith, 1821), erspäht und warnen alle Artgenossen im größeren Umkreis. Mit den Gedanken jeden Moment von Ameisen zerstochen zu werden schlief ich mit dem Kopf auf meinem Teleobjektiv ruhend irgendwann ein.

Der nächste Morgen war nass und der Nebel zog uns durch die Kleidung. Wegen der Feuchtigkeit ergab sich auch direkt ein Problem: Unter diesen Umständen benötigt es viel Fingerspitzengefühl, ein Feuer zum Lodern zu bringen. Die Ibans bereiteten Holz vor, ich ging in den Wald und suchte nach einer speziellen Baumart aus der Gattung der Goniothalamus ssp.. Das Holz dieser Bäume brennt hervorragend, man nimmt einfach etwas von einem intakten Baum ohne ihn dabei zu fällen und schon hat man einen guten Feuerstarter. Zurück im Lager übergab ich das Holz – nach einer halben Stunde und leichter Frustration unsererseits gelang es und das Frühstück konnte endlich zubereitet werden. Instantnudeln, Kaffee und baked beans mussten ausreichend sein und eine solide Grundlage für den nächsten Marsch schaffen. Unseren kleinen Unterstand ließen wir stehen, denn man weiß nie, ob dieser auf dem Rückweg noch gebraucht würde. Nach ca. vier Stunden hörten wir ein verdächtiges Knacken im Geäst. Orang Utans sind schwer und brechen oftmals ungewollt Äste ab, wenn sie sich durch die Baumkronen bewegen. Wir liefen schnellen Schrittes in Richtung des Geräusches, mussten aber gleichzeitig leise sein, denn niemand von uns wollte den Tieren Angst einjagen. Wir ahmten die „Schnalzlaute“ der Menschenaffen nach und auf einmal saß er da, mitten in der Baumkrone: ein kapitales Männchen mit den prächtigen Wangenwülsten, die nur von den dominanten Tieren ausgebildet werden. Ich setzte mich hin, legte meine Kamera nieder und starrte den Waldmenschen an (Orang= Mensch; Utan=Wald). Da sitze ich nun, mitten im Wald, und schaue einem Wesen in die Augen, dass genauso fühlt und auch denkt, wie ich es tue. Diese Tiere sind so angepasst an das Leben im Wald, wie wir es nicht besser sein könnten. Dabei bin ich doch eigentlich auch nur ein Hominidae. Ich machte ein paar Fotos und genoss einfach nur den Moment, einem unserer nächsten Verwandten hier in Borneo so nah zu sein. Wir saßen auf dem Boden, den Orang Utan immer im Blick und redeten über die Zukunft dieses Gebietes – welches einen dringenden Schutz benötigt. Ich diskutierte mit den Männern über Möglichkeiten um Geld mit diesem Projekt zu verdienen.

Bald würde die Nacht hereinbrechen Ich verabschiedete mich von diesem prächtigen Waldmenschen, dessen Zukunft auf dem von Menschen dominierenden Planeten ungewiss ist. Ich ließ die Drohne steigen, wir schauten uns auf dem kleinen iPad Bildschirm den kürzesten Weg bis zu unserer Hütte an. Hat man sich die Formationen der Berge einmal eingeprägt, findet man leicht zu seinem Ziel. Dank der Drohne mussten wir noch nicht einmal auf einen Baum hinaufklettern um den Weg zu finden. Wir zählten die Täler, die wir zu überwinden hatten. Zur Sicherheit machte ich noch ein Foto und schaltete meine GPS ein. Es ging mehrere Stunden bergauf und wieder bergab. Die einbrechende Nacht nahm uns jede Sicht und wir kramten nach unseren Taschenlampen, in deren Schein wir uns den Weg zurück zur Hütte bahnten. Plötzlich stand eine kleine malaiische Zibetkatze, Viverra tangalunga Gray, 1832, auf dem Pfad, beäugte uns ohne Angst und verschwand wieder im Wald. Die Beine voller Blutegel, die Schuhe nass und die Zeit völlig aus den Augen verloren kamen wir an dem Fluss an, der uns zurück zur Hütte bringen sollte. Flüsse werden im Regenwald auch zu Fuß gerne benutzt. Sie sind als die Autobahnen des Waldes anzusehen, da man entlang der Flussbetten schneller laufen kann als quer durch den Wald. Um 4 Uhr morgens erschien endlich die Hütte im Schein der Lampen – wir hatten es geschafft. Was für eine Nacht!

Der nächste Tag gestaltete sich einfach. Wir lagen auf unseren Isomatten, erzählten uns Geschichten und tranken Langkau, bauten an einem neuen Tisch. Die folgenden Tage verbrachte ich intensiv mit der Amphibiensuche und fotografierte diese, um die Bilder sofort in Kuching angekommen an die Universität weiterzuleiten. Abschließend zu sagen gilt nur eines: Diesen Wald habe ich nicht zum letzten Mal besucht. Seit Dezember 2019 war ich zweimal für insgesamt drei Wochen in diesem speziellen Gebiet. Aber dort wartet noch viel mehr Arbeit…

Weiterführende externe Links, zum derzeit weltgrößten Baum in Borneo.

The World's Tallest Tropical Tree in Three Dimensions
Shenkin, A., Chandler, C. J., Boyd, D. S., Jackson, T., Disney, M., Majalap, N., Nilus, R., Foody, G., bin Jami, J., Reynolds, G., Wilkes, P., Cutler, M., van der Heijden, G. M. F., Burslem, D. FRP., Coomes, D. A., Bentley, L. P., & Malhi, Y. (2019). The world’s tallest tropical tree in three dimensions. Frontiers in Forests and Global Change, 2.
• https://doi.org/10.3389/ffgc.2019.00032https://sketchfab.com/ashenkin/collections/menara