Ein Hochplateau in Zentralborneo – Sarawak

Eine wissenschaftliche Expedition zu einem Hochplateau in Zentralborneo erwies sich schwieriger als gedacht. Schon die Straßen dorthin zeigten meiner Gruppe und mir, dass es in den nächsten Tagen nicht einfacher werden würde. Viele Straßen, die sich bis tief in das Innere von Borneo ziehen, sind einfache Schlammpisten bzw. Holzfällerstraßen. Der Zustand solcher Straßen hängt oft damit zusammen, ob und inwiefern in dem Gebiet noch aktiver Holzeinschlag betrieben wird.

Für viele dieser Straßen benötigt man spezielle Genehmigungen, daher sind Besuche in Holzfäller-Camps als auch Gespräche mit den Geschäftsführern als obligatorisch anzusehen. Die Brücken auf solchen Straßen bestehen meist nur aus Baumstämmen. Über diese wird dann etwas Erde planiert und fertig ist die behelfsmäßige Überquerung. Dass diese Konstruktionen nicht auf Dauer Bestand haben, ist selbstredend. Problematisch ist dies, weil man nicht sieht, ob die Brücken noch tragfähig sind und man den Zustand am besten prüft, indem man die Brücke von unten inspiziert. Bei maroden Bauwerken ist eine Einweisung durch den Beifahrer nötig, damit sich bei der Überquerung stets alle vier Reifen im intakten Bereich der Brücke befinden.

Nach einigen Stunden auf dieser Straße fuhren wir an jenem Berg vorbei, den wir besteigen wollten. Ein Gefühl der Ratlosigkeit machte sich breit, als wir die 200 Meter hohen Klippen sahen. Unsere Topomap (Geländekarte) war gut, aber anscheinend nicht gut genug, denn die Auflösung zeigte diese Klippe nur als ein etwas steileres Gelände an.

Angekommen im Dorf organisierte ich uns eine Bleibe für die kommenden Tage und wir räumten unsere Ausrüstung und Lebensmittel in ein Haus, das uns zur Verfügung gestellt wurde. Die Dorfbewohner zählen sich selbst zu den ehemals nomadisch stämmigen Penan. Trotz anstrengender Fahrt musste ich mich den Fragen der Einwohner stellen: Diese wollten natürlich genau wissen, warum Europäer in diese abgelegene Gegend kommen und was wir eigentlich vorhaben. Ich kramte all mein Kartenmaterial aus und zeigte vom Dorf aus auf den Berg, den wir besteigen wollten. Der Dorfvorsteher verriet mir, dass es ungefähr drei Tage brauchen würde, bis wir mit unserer Ausrüstung das gewünschte Hochplateau erreichen würden. Dann plötzlich Uneinigkeit in der Gruppe der Dorfbewohner, einige waren der Meinung, dass ein Aufstieg von 7 – 8 Stunden kein Problem sei und empfahlen uns auch direkt ein paar Träger. Wir benötigten Träger – viele Träger – denn unser eigenes Gepäck wog schon ca. 30 – 35kg pro Person. Zusätzlich kamen noch mehrere Dutzend Kilo Laborausrüstung und Lebensmittel hinzu. Ich beriet mich mit den Einheimischen: Sie waren weiterhin sicher, dass wir binnen eines Tages das Hochplateau unter dem Gipfel erreichen würden.

Am darauffolgenden Tag besuchten wir zuerst einen Wasserfall, denn hier erwarteten wir einige Amphibien und natürlich wollten wir auch dort genetisches Material sammeln. Der Wasserfall war atemberaubend, schon von Weitem konnte man ihn hören. Das Wasser war erwartungsgemäß bernsteinfarben bis schwarz; ein Umstand, der der Geologie geschuldet ist. Das weit oberhalb gelegene Hochplateau sorgt dafür, dass Wasser nicht sofort abfließen kann und sich daher die Tanine und Huminsäuren aus der Laubschicht lösen können. Die Folge ist ein pH-Wert von unter 5 und eine Farbe die an einen Bernstein erinnern lässt.

Zurück im Dorf packten wir unsere Rucksäcke für den Aufstieg, jeder der Teilnehmer ging erneut in sich um zu überprüfen, ob wirklich nur das Nötigste im Rucksack verstaut war. Aber was ist nötig und was nicht? Kann man auf Medikamente verzichten? Sollte man vielleicht nur die Hälfte der Medikamente mitnehmen? Möchte man wirklich noch zwei weitere Hosen auf den Berg schleppen? Trockene Wechselkleidung ist hier ein hohes Gut, aber man muss die zusätzliche trockene Kleidung auch tragen können. Ich beriet die Teilnehmer nach bestem Wissen und Gewissen, mein eigener Rucksack brachte mehr als 30kg auf die Waage, die Kameraausrüstung und zusätzliche Akkus schlagen sich extrem im Gewicht nieder. In all den Jahren, in denen ich schon als Expeditionsleiter in Borneo unterwegs bin, war mein Gepäck selten leichter als 30kg … ein Fakt, an den sich der Körper nach unzähligen Touren gewöhnt. Nach einem reichhaltigen Abendmahl verabschiedeten wir uns früh zur Nachtruhe, denn am nächsten Morgen sollte der anstrengende Aufstieg beginnen. Ich stellte meinen Wecker auf 5:30Uhr und plante den Start der Expedition für 7Uhr. Die Dorfbewohner stimmten dem Zeitplan zu.

Am nächsten Morgen um 7:30Uhr war allerdings noch keiner der Dorfbewohner zu sehen… ein Umstand den ich schon oft erfahren musste: Pünktlichkeit ist in solch abgelegenen Gegenden einfach nicht wichtig. Schließlich war es also 9Uhr bis endlich alle auf die Ladefläche des Toyota Hilux stiegen und ich losfahren konnte. Zu meiner Überraschung hatten die Dorfbewohner vor, nicht über den Bergkamm das Plateau zu besteigen, sondern über die Seite, auf der wir ein paar Tage zuvor bereits die 200 Meter hohe Klippe gesehen hatten. Nach einer kurzen Beratung mit den Dorfbewohnern, in der ich meine Zweifel aussprach, dass es von dieser Seite kaum möglich sei das Plateau zu besteigen, versicherten mir alle sechs Dorfbewohner, dass es dort einen Weg gäbe. Also stellten wir den PickUp am Rand der Holzfällerstraße ab und verteilten die Laborausrüstung so, dass alle Träger gleich viel zu tragen hatten. Mein Vertrauen wurde befestigt und wir wanderten los, der Waldtyp änderte sich schnell mit Zunahme der Höhe. Von einem Dipterocarpaceaen-Wald mit riesigen Bäumen hin zu einem gemischten Dipterocarpaceaen-Wald bis zu einem tropischen, montanen Wald auf über 1600m ÜNN.

Zwischenzeitlich machten wir mehrere Pausen. Diese wurden nicht durch uns gefordert, sondern durch die Dorfbewohner, die es wohl einfach nicht fassen konnten, dass Europäer sich diesen Strapazen stellen, um ein Forschungsziel zu erreichen. Es war bereits 15Uhr und ich stellte zunehmende Ratlosigkeit bei unseren Trägern fest. Auf Nachfrage kam heraus, dass wir wohl kurz vor dem Ziel seien. Ich schaute auf mein GPS und verneinte diese Annahme, wir steuerten nämlich direkt auf den höchsten Teil der Klippe zu. Gegen 16:30Uhr erreichten wir diese Klippe, ich schaute hoch und fragte „Und jetzt?“ und bekam zur Antwort „Hier gibt’s keinen Weg“ – ich rang um Fassung … Nach über 11km und über sieben Stunden Marsch mit all dem Gepäck, über jede Wurzel, über jeden großen Stein, stehen wir nun vor einer Klippe, die so unüberwindbar erscheint, dass ein Abbruch der Expedition nahe liegt.

Wir entschieden am Fuße dieser Klippe zu nächtigen. Ein Lager war innerhalb einer Stunde errichtet und wir begannen in diesem Gebiet nach Amphibien zu suchen. Am nächsten Morgen wollte ich die Drohne durch die Baumwipfel fliegen um herauszufinden wo wir einen Weg aufs Plateau finden könnten. Die Nacht war alles andere als tropisch, die Temperatur fiel von 24°C bis auf einen Tiefpunkt von 11°C ungefähr um 4Uhr morgens. Genau dies ist der Grund warum ich in diesen Höhen immer mit Fleece-Jacke schlafen gehe. Um 6:30Uhr war die Nacht vorbei und ich machte mich bereit, die Drohne zu starten. Da! Eine Möglichkeit! Vorbei an den Klippen, hinauf aufs Plateau – laut GPS nur 3km entfernt. Wer schon mal im Regenwald unterwegs war, weiß, das 3km sehr lang sein können. Vor allem, wenn es keinen Pfad gibt. Ich kann die Anstrengungen kaum beschreiben, denn ein einfaches Entlanggehen unterhalb der Klippe war gar nicht möglich, nach wenigen hundert Meter tat sich ein Abgrund auf oder ein riesiger umgefallener Baum versperrte uns den Weg. Wir brauchten für diese 3km Luftlinie ganze neun Stunden. Wir benötigten eine weitere Stunde einen Weg auf den Rand des Plateaus zu finden. Regen setzte ein. Da wir bereits auf einer gewissen Höhe angekommen waren, fühlt man sich dabei nicht gerade erfrischt, sondern friert schnell, da er einem doch recht kalt vorkommt. Wir mussten uns dringend nach einem Platz zum Übernachten umschauen, denn es war bereits 17:30Uhr und die Sonne würde in einer Stunde untergehen. Enttäuscht dem Ziel so nah zu sein, aber dennoch abbrechen zu müssen, trübte sich die Stimmung ein wenig. Unsere Dorfbewohner waren froh, dass wir endlich das Camp aufbauen wollten. Nun hatten wir ein weiteres Problem, denn wir waren noch nicht auf dem Plateau angelangt. Die Berghänge fielen im Gelände steil ab. Wo sollten wir Wasser herbekommen? Es klingt fast absurd, dass wir im Regenwald nach Wasser suchen, aber dies ist eine Erfahrung, die ich durchaus bei vielen Bergexpeditionen machte. Manchmal muss man mehrere Kilometer bergabwärts laufen, um ausreichend Wasser zu finden. Wir fanden ein kleines dreckiges Rinnsal, was dank unserer Wasserfilter aber kein Problem darstellte – zudem hatten wir die Möglichkeit das Wasser abzukochen. Unsere Begleiter bauten innerhalb kurzer Zeit ein Camp: Sie fällten kleine Bäume, bauten sich einfachste Betten und wir spannten innerhalb weniger Minuten unsere ultraleichten Hängematten auf. In der Nacht suchten wir nach Fröschen, vor allem Baumfrösche konnten wir hören, aufspüren und ein paar wenige Exemplare einfangen. Die Nacht war erholsam. Man schläft wunderbar nach solchen Anstrengungen.

Am nächsten Tag diskutierte ich mit dem Professor über den Tagesplan. Während er und seine Studenten die Laborarbeit erledigen wollten, sollte es meine Aufgabe sein weiter ins Innere des Plateaus vorzudringen. Ich wählte die vier kräftigsten Dorfbewohner und wir arbeiteten uns in Richtung einer Formation vor, die ich auf den Drohnenfotos als Bachlauf erkannt hatte. Da ich um den Typus des Waldes wusste, bestand die Gefahr, dass wir diesen Bachlauf vielleicht gar nicht erreichen konnten. Diese montanen Wälder gleichen einem Labyrinth aus Wurzeln und riesigen Moospolstern. Es ist unmöglich sich in diesen Wäldern fortzubewegen ohne gleichzeitig auch zu klettern, zu springen oder zu krabbeln. Es ging durch Höhlen, unter Wurzeln hindurch, wir sprangen über kleinere Abgründe. Auf dem Weg markierte ich mit dem GPS alle kleineren Bachläufe, welche ebenfalls das erwähnte Schwarzwasser führten. Nach ca. vier Stunden entschieden wir uns umzudrehen, obwohl wir das Ziel noch nicht erreicht hatten. Die Entscheidung den Aufstieg inmitten des Plateaus zum Bergkamm zu wagen und über den Bergkamm zurück zum Camp zu laufen entpuppte sich als Fehlentscheidung, denn wir brauchten über sechs Stunden für den Rückweg. Nachdem wir einen kleineren Felsen am Rand des Bergkamms erklommen hatten, konnten wir von hier aus genau sehen, wo der günstigste Weg verlief. Im Camp angekommen, berichtete ich von den verschiedenen Bächen, denn diese wollten wir in derselben Nacht noch besuchen.

So vergingen die Tage im Camp: Tagsüber erkundete ich mit den Dorfbewohnern die Umgebung, um nachts mit den Studenten und Wissenschaftlern die zuvor entdeckten Habitate erneut zu besuchen. Unsere Vorräte im Camp neigten sich seltsamerweise schnell dem Ende entgegen. Ob es daran lag, dass unsere Träger uns bekochten? Es kam uns so vor als verschwänden Nahrungsmittel einfach so, ohne dass wir je etwas davon verzehrt hatten. So vermissten wir die Schokolade, die mehr als ein Genussmittel ist, denn ich schätze sie auch als Stimmungsaufheller in stressigen Situationen. Auch die Kekse waren spurlos verschwunden, ebenso die Fertignudelgerichte. Daher waren wir jeden Tag gezwungen Reis zu essen. Kulinarisch interessant wurde es ab und an, wenn ein gekochtes Palmherz oder andere Früchte aus dem Wald zubereitet und aufgetischt wurden. Der Wassermangel spitzte sich mehr und mehr zu, denn es hatte seit Tagen nicht mehr geregnet. An eine ordentliche Körperhygiene war schon lange nicht mehr zu denken – es schien so, als wären unsere Tage dort oben gezählt und wir müssten uns bald auf den Rückweg machen.

Dieser dauerte dann schließlich – im Vergleich zum Hinweg – nur etwa 11 Stunden. Nach weiteren 30min Autofahrt kamen wir im Dorf an. Alle waren zufrieden mit dem Erreichten auf der einen Seite, aber dennoch ein bisschen enttäuscht, denn wir hatten mehr erwartet. Der Berg konnte somit die Vielzahl seiner Geheimnisse vor uns fürs erste bewahren. Die Nacht im Dorf war wolkenlos, was in den Tropen durchaus selten ist. Meistens verdecken hier Wolken den Blick auf die Sterne, denn die hohe Wasserverdunstung in den Wäldern ist in diesen Breitengraden eine Wolkenmaschine. Ohne diese wäre es ohnehin unerträglich heiß am Äquator. Nach einigen Tagen brachen wir auf um in die nächste Stadt zu fahren.


Gesteinsproben aus dem Gebiet.

Wechsellagerung aus Sandstein und Mudstone (feinkörniges bis sehr feinkörniges, dichtes Sedimentgestein aus Lockersediment).